Migrationspolitik

6 Mythen über Migration: Wir haben nachgehakt

Migrationspolitik steht in Europa derzeit ganz oben auf der politischen Agenda und in der öffentlichen Debatte. Wir widerlegen einige der gängigsten Mythen über Migration mit Hilfe unseres Partners Mixed Migration Centre.

Text
Julia Rommel
Bilder
stock.adobe.com/Paper Trident
Datum
28. November 2023
Lesezeit
6 Min.
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Mythos: Migration ist völlig außer Kontrolle geraten 


Das Thema irreguläre Migration wird stark übertrieben, weil es so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den Medien erhält. Man könnte fast meinen, dass mehr Menschen irregulär als regulär nach Europa kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Jedes Jahr kommen über zwei Millionen Menschen legal mit allen möglichen Genehmigungen wie Arbeits- oder Studentenvisa nach Europa, während höchstens einige 100.000 Menschen irregulär auf dem Land- und Seeweg einreisen. Selbst jetzt, wo die Zahl der Menschen, die auf irregulären Land- und Seewegen nach Europa kommen, wieder ansteigt, ist dies für einen reichen Kontinent mit 550 Millionen Menschen durchaus zu bewältigen, wenn wir die richtigen Investitionen tätigen und nicht wegen relativ geringer Zahlen in Panik geraten.

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Mythos: Dutzende Millionen Menschen oder mehr werden wegen des Klimawandels vom Süden in den Norden ziehen.


Dafür gibt es einfach keine Beweise. Natürlich gibt es viel Migration, viel Vertreibung durch den Klimawandel. Aber die meisten dieser Menschen bleiben im eigenen Land oder ziehen nicht weit. Denn diejenigen, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, haben in der Regel bereits alle Anpassungsstrategien ausgeschöpft. Lange internationale Migrationsrouten, die Tausende von Dollar kosten, können sie sich gar nicht leisten. Natürlich werden viele Menschen aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Schocks und Belastungen wie Überschwemmungen und Wirbelstürme ihre Heimat verlassen und tun das bereits. Das ist sicher der Fall und wird wahrscheinlich noch zunehmen. Aber dass sie alle in den Norden ziehen werden und große Entfernungen zurücklegen werden, ist ein Mythos. 

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Mythos: Schleuser:innen verleiten Menschen dazu, irregulär zu migrieren und sich auf lange, gefährliche und irreguläre Migrationsrouten zu begeben. 


Das stimmt einfach nicht. Das Mixed Migration Centre hat das anhand von 25.000 Interviews bewiesen. Auf die Frage: „Was hat Sie bei Ihrer Migrationsentscheidung am meisten beeinflusst?" rangieren Schleuser:innen an achter Stelle, nach Freunden oder Familie im Zielland oder im Heimatland. Schleuser:innen haben keinen großen Einfluss auf die Entscheidung zu migrieren. 

Wir sprachen mit

Bram Frouws

Direktor des Mixed Migration Center - ein Forschungszentrum, das hochqualitative Daten, Forschung, Analysen und Fachwissen zum Thema Migration bereitstellt.

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Mythos: Alle Schleuser:innen sind Kriminelle / Schleuser:innen sind lediglich Reisehelfer:innen, die den Migranten einen Service bieten. 


Wenn man eher migrationsfreundlich eingestellt ist, neigt man dazu, sie als wohlmeinende Reisehelfer:innen darzustellen. Wenn man eher politisch rechts eingestellt ist, skizziert man sie als böse Kriminelle oder bezeichnet sie bewusst als Menschenhändler. Mit diesem Mythos muss immer wieder aufgeräumt werden. Denn es gibt beides: Manche Schleuser:innen sind böse Kriminelle und manche bieten einfach eine Dienstleistung an. 

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Mythos: Man kann irreguläre Migration stoppen, indem man die Fluchtursachen bekämpft oder gegen Schleuser:innen vorgeht.  


Es ist schlicht unrealistisch, ein einzelnes Element herauszugreifen und anzunehmen, dass das ausreicht – ohne zu erkennen, dass ein viel umfassenderes Maßnahmenpaket erforderlich ist. Oft wird vergessen zu fragen, weshalb Menschen ihre Zielländer wählen. Die Tatsache, dass es in vielen europäischen Ländern einen Bedarf an Arbeitskräften gibt, ist einer der Gründe, warum Migrant:innen nach Europa kommen. Ob im informellen Sektor oder wenn es ihnen gelingt, ihren Status zu legalisieren: Migranten finden Arbeit, weil es einen Bedarf gibt. Die Annahme, man könne Migration in den Griff bekommen, indem man nur die Ursachen bekämpft, weshalb Menschen ihre Herkunftsländer verlassen, oder indem man versucht, die Schlepper:innen zu bekämpfen, wird also nicht funktionieren. 

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Mythos: Geflüchtete denken nicht über ihre Zukunftschancen nach.


In Debatten ist das oft zu beobachten: Wenn Du ein Flüchtling bist, wird Deine ganze Identität auf diese eine Eigenschaft reduziert. Es besteht die Tendenz, Geflüchtete ihrer Handlungsfähigkeit zu berauben und ihnen jede Form normaler menschlicher, rationaler Entscheidungsfindung abzusprechen. Entscheidungen darüber, wohin sie gehen, was sie tun, wen oder was sie mitbringen. Es ist wichtig, dem entgegenzuwirken. Denn diese beiden Dinge können Hand in Hand gehen: Menschen können Geflüchtete sein, die dringend internationalen Schutz benötigen. Und natürlich wollen sie gleichzeitig – wie alle anderen Menschen auch – Entscheidungen mit Blick auf die ihrer Meinung nach besten Zukunftschancen treffen.

Über das Forschungszentrum

Mixed Migration Centre

zum Review 2023

Das Mixed Migration Centre ist ein Forschungszentrum, das sich mit Datenerhebung, Forschung, Analyse sowie Politik- und Programmentwicklung im Bereich der gemischten Migration befasst. Es verfügt über regionale Zentren in Afrika, Asien und dem Pazifik, Europa und Lateinamerika sowie über ein globales Team mit Sitz in Kopenhagen, Genf und Brüssel. Im Zentrum der Arbeit des MMC stehen der Schutz der Menschenrechte sowie der Schutz aller Menschen auf Migrationswegen.

zum Review 2023
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