Dossier

Frauen, Flucht und Migration

Ein Schlaglicht auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft

Durch den Krieg in der Ukraine und andere Konflikte ist die Zahl der Vertriebenen weltweit auf über 108 Millionen gestiegen. Etwa die Hälfte davon sind Frauen und Mädchen, was oft nicht wahrgenommen wird. Erst durch die vielen geflüchteten Frauen aus der Ukraine, die bei uns Schutz gefunden haben, rückte das Thema „Frauen und Flucht“ in die Schlagzeilen. 70 Prozent der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind Frauen und Mädchen, rund 34 Prozent Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, darunter sind die meisten im Grundschulalter.

Aktuell wahrgenommen wurde die weibliche Arbeitsmigration auch durch die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Die Medien warfen in diesem Zusammenhang ein Schlaglicht auf die oft katastrophale Lage der Frauen und Mädchen in den Golfstaaten, wo sie als sogenannte Hausmädchen (Housemaids) arbeiten und als Arbeitsmigrantinnen durch ihre Geldüberweisungen ganze Familien auf den Philippinen und in anderen Ländern versorgen. Auch die Hälfte aller Arbeitsmigranten – weltweit rund 281 Millionen – sind Frauen. Insgesamt sprechen wir also von etwa 194 Millionen Frauen und Mädchen, die als Geflüchtete oder Migrantinnen unterwegs sind.

„Housemaids“ am Golf

Weltweit fristen einige Millionen Hausmädchen ein Schattendasein, oft in illegaler Beschäftigung, ohne jegliche Rechte und soziale Absicherung, schlecht bezahlt und ihren Dienstherren mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Vielen von ihnen wird schon bei der Ankunft der Pass abgenommen und später der Lohn vorenthalten. Allein in Katar fristen 170.000 Hausangestellte solch ein Schattendasein. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind die Zustände in anderen arabischen Golfstaaten sogar noch schlimmer. Es wird von „moderner Sklaverei“ und sexueller Ausbeutung, Misshandlungen, Menschenhandel und Zwangsprostitution berichtet. Auch im Libanon würden Hausangestellte von manchen Familien wie Leibeigene behandelt, berichtet beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 6. November 2022. Bis zu 250.000 ausländische Hausmädchen arbeiten in libanesischen Haushalten. Die Botschaften der Herkunftsländer der Hausmädchen unternehmen offensichtlich nur wenig, um den Frauen zu helfen, am ehesten noch die Auslandsvertretungen der Philippinen. „Tatsächlich drängen viele Herkunftsländer inzwischen viel nachdrücklicher auf gute und faire Arbeitsbedingungen ihrer Arbeitsmigrantinnen und -migranten und prangern Menschenrechtsverletzungen an ihren Bürgerinnen und Bürgern oder negative Entwicklungswirkungen schärfer an als zuvor“, so Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Rücküberweisungen lebenswichtig

Schon einmal, 1991, als irakische Truppen Kuwait überfielen, kam das Schicksal der Hausangestellten in die Schlagzeilen. Tausende Arbeitsmigranten und -migrantinnen verloren damals schlagartig ihre Jobs, darunter vor allem viele Hausmädchen. Erstaunt konnte man damals Untersuchungen zur Kenntnis nehmen, die aufzeigten, dass philippinische Housemaids nicht nur in den Golfstaaten, sondern beispielsweise auch in Italien unter dem gesetzlichen Mindestlohn arbeiteten und dass über die Hälfte von ihnen einen Universitätsabschluss hatte. In London hatten sogar 90 Prozent der philippinischen Haushaltshilfen mindestens eine zweijährige Universitätsausbildung absolviert. Die Frauen akzeptieren diese Arbeit und die oft damit verbundene Ausbeutung noch heute, weil sie daheim, selbst wenn sie einen Job im Büro oder als Lehrerin ergattern sollten, nur etwa ein Drittel von dem verdienen können, was sie als Hausmädchen in Übersee bezahlt bekommen. So unterscheiden sich die Gründe, warum Frauen im Ausland Arbeit suchen, kaum von denen der Männer: Sie suchen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für sich und ihre Familien, haben zuhause oft keine Zukunftsperspektive.

In vielen Regionen der Welt machen Frauen sogar die Mehrheit der Arbeitsmigration aus, nicht nur in den Golfstaaten, sondern zum Beispiel auch in Montenegro oder in der Republik Moldau. Trotzdem geht es immer noch um ein grundlegendes Thema, um die „Sichtbarmachung von Frauen in der Migration“, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Politik, Gesellschaft und in den Medien. Auch für die Migrationsforschung war der prototypische Migrant lange Zeit ein Mann. Frauen wurden erst seit den 1990er-Jahren wahrgenommen. Inzwischen spricht man jedoch bereits von einer Feminisierung der Migration. Man hat erkannt, dass Frauen selbständig migrieren, unabhängig von ihren Männern und Familien. Dabei gerät die starke Diversität der Frauenmigration ins Blickfeld, die nicht nur als Arbeitsmigrantinnen, sondern auch als Spätaussiedlerinnen, Asyl-bewerberinnen, Irreguläre, Studierende oder Bürgerkriegsgeflüchtete auswandern.

Die weltweite Migration hat einen hohen Stellenwert: Arbeitsmigrantinnen und -migranten zahlen Steuern im Aufnahmeland, wo sie 85 Prozent ihres Einkommens ausgeben. Weltweit überweisen sie direkt und über informelle Kanäle jährlich bis zu 689 Mrd. US-Dollar in ihre Herkunftsländer. Das meiste Geld fließt in Entwicklungs- und Schwellenländer, in die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (Low- and Middle-Income Countries, kurz LMIC). Diese Rücküberweisungen (Remittances) in die ärmeren Länder der Welt sind höher als die ausländischen Direktinvestitionen und mehr als dreimal so viel wie weltweit an internationaler Entwicklungshilfe (ca. 166 Mrd. US-Dollar) ge-leistet wird. Ganze Regionen, ja Länder leben von diesem Geld ihrer Landsleute, beispielsweise Kirgistan, wo diese Devisen 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, oder der Südsudan mit 35 Prozent. Die zeitweise Schließung der Grenzen während der COVID-19-Pandemie hat Arbeitsmigrantinnen und -migranten ganz massiv betroffen. Viele verloren ihre Jobs und ihr Einkommen, lebten in erbärmlichen Umständen. Fast drei Millionen Migrantinnen und Migranten strandeten durch die Reisebeschränkungen wäh-rend der Krise und konnten zeitweise nicht in ihre Heimat oder zu ihren Arbeitsplätzen zurückkehren.

„Brain drain“ und „Care drain”

Die Abhängigkeit der meist armen Entsendeländer von den Überweisungen ihrer Landsleute im Ausland ist problematisch, wenn diese lebenswichtigen Gelder bei Krisen ausbleiben. Hinzu kommt der „Brain Drain“: qualifizierte Frauen wandern aus ärmeren in die reicheren Regionen aus und fehlen dann im Heimatland. Die Wissenschaft spricht vom „Problem der globalen Versorgungsketten“, wo sich die Auswanderung der Frauen vor allem auch im Gesundheitsbereich besonders negativ auswirkt. In den Herkunftsregionen entsteht eine „Versorgungslücke“ oder ein „Care Drain“. Die Pandemie hat dieses Problem, das Fehlen insbesondere von Frauen im medizinischen Bereich oder in der Altenpflege, weiter verschärft. Die Vereinten Nationen heben hervor, dass im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie 55 Länder an einem ernsthaften Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen leiden, weil Fachkräfte von den reicheren Ländern während der Krise abgeworben wurden. Davon besonders betroffen sind 37 Länder in Afrika.

Die Beschäftigung von Haushaltshilfen heutzutage – beispielsweise von Frauen aus Polen oder Rumänien, die als private Krankenpflegerinnen in Deutschland arbeiten – reicht weit zurück. So erinnert der Historiker Reinhold Weber in dem Buch „Ein Koffer voll Hoffnung“ (2019) zum Beispiel an die Migrationsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert:

„Die Mehrheit der Binnenwanderer, die große Strecken überwanden, waren meist ledige junge Männer. Bei der Nahwanderung hingegen waren die Frauen stark vertreten, die meist in der Hausarbeit oder in der landwirtschaftlichen Hofarbeit unterkamen. Lange standen sie im Schatten der männlich dominierten Migrationsforschung, schon allein, weil sie weniger schriftliche Quellen hinterlassen haben und weil sie nach ihrer Ausbildungszeit und anschließender Heirat meist oft unbezahlte Hausarbeit in der Familie leisteten“.

Selbst Kinder mussten im 19. Jahrhundert aus einzelnen armen Gebieten zu entfernt gelegenen Arbeitsmärkten wandern. Das prominenteste Beispiel sind die sogenannten „Hütekinder“ aus Tirol, Vorarlberg und Graubünden, die schon seit dem 17. Jahrhundert im Frühjahr teils mehr als 200 Kilometer über die Alpenpässe nach Oberschwaben und ins Allgäu wanderten. Die sechs- bis fünfzehnjährigen Jungen und Mädchen wurden auf den „Hütekindermärkten“ in Friedrichshafen, Ravensburg und anderen oberschwäbischen Marktorten an Bauern vermittelt, auf deren Höfen sie über den Sommer das Vieh hüteten und im Stall bzw. Haushalt arbeiteten. Im Herbst kehrten die „Schwabenkinder“, wie sie in ihrer Heimat genannt wurden, frisch eingekleidet und mit etwas Bargeld versehen in ihre Heimatorte zurück, schildert Reinhold Weber. Im 19. Jahrhundert erlebte das „Schwabengehen“ seinen Höhepunkt, bevor es mit Beginn des Ersten Weltkriegs an Bedeutung verlor.

Dienstmädchen in Deutschland

Im Deutschen Reich setzte sich diese Tradition fort: Die Beschäftigung von Hausmädchen war gang und gäbe. So arbeiteten um die Jahrhundertwende – Dienstmädchen war damals der am weitesten verbreitete Beruf für Frauen – 1,3 Millionen Frauen als „Dienstmädchen“ in Deutschland. Um die Arbeitsmigrantinnen insgesamt vor Ausbeutung zu schützen, rief der Caritasverband bereits 1908 in Freiburg einen Frauenverein zum Schutz der italienischen Arbeiterinnen ins Leben. Eingerichtet wurden beispielsweise Abend- und Sonntagsschulen sowie ein Kinderhort für italienische Kinder.

Die Mädchen kamen aus der Provinz, stammten meist aus unteren sozialen Schichten, waren an die schlechten Arbeitsbedingungen gewöhnt. Sie fuhren oft auf eigene Faust mit dem Zug in die Fremde, um eine Anstellung zu finden, was sich auch dubiose Stellenvermittler zunutze machten und den Mädchen Stellen in Kneipen als Kellnerinnen – damals ein Beruf nahe der Prostitution – verschafften, so Christiane Gorse. Um den jungen Frauen meist im Alter von 14 oder 15 Jahren zu helfen, gründeten sich damals die Bahnhofsmissionen, die konfessionsübergreifend ein erstes Obdach boten. Der Lohn der Dienstmädchen „bestand aus wenig mehr als Kost und Logis. […] Auch die Unterbringung ließ oft zu wünschen übrig“, so Christiane Gorse. Gesindeordnungen der Länder regelten die Rechte und Pflichten der Hausangestellten: „viele Rechte für die Dienstherren, viele Pflichten für die Dienstboten“. In der bayerischen Gesindeordnung wurde aufgezählt, warum einem Dienstmädchen gekündigt werden durfte: „andauernde Krankheit, Untreue, Trunkenheit, ausgelassener Wandel, fortgesetzter Unfleiß, Ungehorsam, eigenmächtiges oder heimliches Entlaufen“. Nach der preußischen Gesindeordnung war es sogar erlaubt, sein Personal zu schlagen. Die Mädchen waren von ihren Dienstherren abhängig, körperliche oder gar sexuelle Ausbeutung kamen oft vor.

Durch die Migration von Dienstmädchen entstand in diesem Bereich ein internationaler Arbeitsmarkt. Viele deutsche Hausmädchen wanderten beispielsweise nach Amerika aus. Netzwerke der jungen Frauen halfen nicht nur bei der Arbeitssuche. Bereits 1848 wurde der erste Dienstmädchenverein Deutschlands in Leipzig gegründet. Bei den „Dienstbo-tenversammlungen“ in Berlin trafen sich 400 bis 600 Personen. 1906 gründete sich in Nürnberg der erste gewerkschaftliche Verein der „Dienstmädchen, Wasch- und Putzfrauen“.

Wir riefen Arbeitskräfte – und es kamen auch Frauen!

So lässt sich das berühmte Zitat von Max Frisch leicht auf die „Gastarbeiterinnen“ ummünzen, die mit zum Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutschland beigetragen haben. Oft dominiert aber immer noch das Bild einer männlich geprägten „Gastarbeiterzuwanderung“, als ob die Frauen „nur“ im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland ge-kommen seien. Dabei lebten 1973, im Jahr des Anwerbestopps, rund 706.000 solcher Arbeitsmigrantinnen in Deutschland. Das entsprach etwas über 30 Prozent aller ausländi-schen Arbeitskräfte. Oft gezielt von den deutschen Anwerbebüros beispielsweise in Istanbul oder Thessaloniki angesprochen, arbeiteten die Arbeitsmigrantinnen dann als un- oder angelernte Arbeitskräfte vor allem in der Textil- sowie in der Bekleidungs- und Nahrungsmittelindustrie, aber auch in der Elektro-, Eisen- und Metallindustrie. Viele Griechinnen versorgten beispielsweise als Arbeitsmigrantinnen die Familien daheim, wo dann sogar Väter die Kinder hüteten, berichtet Hans-Jörg Eckhardt, der in den 1960er-Jahren für das Landesarbeitsamt Baden-Württemberg in der Anwerbekommission in Thessaloniki arbeitete (vgl. „Ein Koffer voll Hoffnung“, 2019).

Während viele Bereiche tarifliche Mindeststandards boten, drohte vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Hauswirtschaft sowie in der Reinigungsbranche finanzielle Ausbeutung. „Gastarbeiterinnen“ wurden meist in der sogenannten „Leichtlohngruppe“ angestellt, die es für körperlich vermeintlich leichtere Tätigkeiten gab. Dort verdienten sie 30 bis 40 Prozent weniger als Männer in den unteren Lohngruppen, aber häufig mehr als in ihren Herkunftsregionen. Vor allem die ungerechte Bezahlung führte – so der Mediendienst Integration – dazu, dass migrantische Frauen streikten. Das bekannteste Beispiel ist der Arbeiterinnenstreik 1973 beim Autozulieferer Pierburg in Neuss. „Gastarbeiterinnen“ streikten hier für die Abschaffung der „Leichtlohngruppe II“, in der nur Frauen beschäftigt waren. Da sie somit auch Verbesserungen für deutsche Frauen forderten, solidarisierten diese sich mit ihren Kolleginnen. Der Streik begann mit 1.800 migrantischen und 400 deutschen Frauen. Später legte die Beteiligung weiterer Frauen den gesamten Betrieb lahm. Aber auch an anderen Streiks, wie den „wilden Streiks“ zwischen 1950 und 1970 sowie 1973 bei Ford in Köln oder bei Karmann in Osnabrück waren migrantische Frauen beteiligt.

„Sonderprobleme der weiblichen ausländischen Arbeitskräfte“

Unter dieser Überschrift verfasste das Arbeitsamt Stuttgart am 24. Oktober 1961 einen Bericht, der einen kritischen Einblick in das Leben der Frauen gibt, die als Arbeitskräfte nach Baden-Württemberg geholt wurden. Im Bezirk Stuttgart, dem Mittleren Neckarraum, waren damals bereits 265 Ausländerinnen beschäftigt, darunter 130 Griechinnen. Nach den Berichten der Krankenkassen stieg der Krankenstand unter ihnen von Jahr zu Jahr, besonders wurden viele Magenerkrankungen beobachtet. Zu „Schwangere“ hieß es:

„Die schwangeren Ausländerinnen werden für die Betriebe in zunehmendem Maße ein Problem. In der Regel können sie zwar in den Wohnheimen während des ersten Teils der Schutzfrist bis zur Entbindung bleiben, soweit sie nicht unter besonderen Schwangerschaftsbeschwerden leiden. [...] Ein Landratsamt des Bezirks ist dazu übergegangen, Frauen, die ein Kind geboren haben, das sie bei sich behalten wollen, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu verweigern. Abgesehen davon, dass ein derartiges Vorgehen wahrscheinlich rechtlich nicht haltbar ist, wird damit die bei den Griechinnen offenbar übliche Abtreibung geradezu zur Notwendigkeit.“
 

Nach dem Bericht würden verheiratete oder ledige Griechinnen nach Griechenland zurückkehren, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dort sei die Abtreibung wohl gesetzlich nicht erlaubt, würde jedoch strafrechtlich nicht verfolgt und für 150 bis 200 Mark „üblicherweise durchgeführt“. Dieses Beispiel erinnert fatal an die Ausländerpolitik der DDR, die im Westen angeprangert wurde. Dort wurden beispielsweise 1987 für die Arbeiterinnen aus Vietnam zwischen Ost-Berlin und Hanoi besondere Regelungen „über die Verfahrensweise bei Schwangerschaft“ getroffen. In der entsprechenden Vereinbarung heißt es wörtlich:

„Schwangerschaft und Mutterschaft verändern die persönliche Situation der betreffenden werktätigen Frau so grundlegend, dass die damit verbundenen Anforderungen der zeitweiligen Beschäftigung und Qualifizierung nicht realisierbar sind. Vietnamesische Frauen, die die Möglichkeit der Schwangerschaftsverhütung bzw. -unterbrechung nicht wahrnehmen, treten – nach ärztlich bescheinigter Reisetauglichkeit – zum festgesetzten Termin die vorzeitige Heimreise an. Im Falle unbegründeter Ausreiseverweigerung wird die Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in der DDR gegenüber den zuständigen Organen der DDR unverzüglich die Einleitung erforderlicher Maßnahmen zur Sicherung der Ausreise beantragen. Die durch Ausreiseverweigerung verursachten Kosten trägt die vietnamesische Seite.“
 

Viele Frauen wurden so mehr oder weniger zur Abtreibung gezwungen, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren wollten. Auch wenn es sich nicht direkt vergleichen lässt, aber solche Fälle gab es auch in Baden-Württemberg.

„Schwangere Frauen“ – ein „Problem“ in der Anwerbezeit

Mit einem Brief im Amtsdeutsch und mit dem Betreff „Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer; hier: Fehlvermittlungen – Vermittlung schwangerer Frauen“ schrieb der Präsident des Landesarbeitsamtes am 6. September 1961 in diesem Zusammenhang an die Direktoren der Arbeitsämter im Lande. Arbeitgeber wollten sich offensichtlich die Rückreisekosten erstatten lassen, wenn Schwangere angeworben worden waren. Mit Hinweis auf einen Erlass der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde klargestellt,

„dass die Deutschen Kommissionen grundsätzlich keine werdenden Mütter vermitteln und dass, sofern sich trotzdem unter den Transport-Teilnehmerinnen Frauen befinden, bei denen eine Schwangerschaft ohne weiteres erkennbar ist, im allgemeinen eine Fehlvermittlung anerkannt werden kann. Da bei den Deutschen 93 Kommissionen gynäkologische Untersuchungen nicht durchgeführt werden können, kann bei Vorliegen einer äußerlich nicht erkennbaren Schwangerschaft grundsätzlich keine Fehlvermittlung anerkannt werden.“

Der Runderlass stellte deshalb klar: „Zu den von Ihnen angeführten Fällen war den Frauen ihr Zustand wahrscheinlich bei der Arbeitsaufnahme selbst nicht bekannt; zumindest aber konnte die Schwangerschaft bei der ärztlichen Untersuchung in Spanien am 8. Mai 1961 nicht festgestellt werden. Eine Erstattung der Rückreisekosten an den Arbeitgeber ist deshalb nicht möglich.“ Um die Sachlage ein für alle Mal klarzustellen, fügte das Landesarbeitsamt hinzu, dass eine Vermittlung schwangerer Frauen als Fehlvermittlung nur dann anerkannt werden könne, wenn die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Vermittlung durch die Deutsche Kommission ohne weiteres erkennbar gewesen sei.

Was den Bericht des Arbeitsamtes Stuttgart angeht, so beschäftigte er sich unter der Überschrift „Abgleiten in die Prostitution“ mit einem heiklen Thema und schrieb lakonisch, dies werde vereinzelt von den Betrieben beobachtet:
„Bei manchen mag die Losgelöstheit aus dem Familienverband und der dörflichen Gemein-schaft, sowie der Mangel an Aufsicht durch Familienganghörige, Hemmungen beseitigt ha-ben. Im Übrigen werde die Prostitution sowohl bei Griechinnen, als auch bei den Italiene-rinnen nicht als etwas besonders Schandbares angesehen.“

Besondere Schwierigkeiten ergaben sich bei allen Ausländerinnen dadurch, dass die mit Touristenpass eingereisten Frauen – meist Angehörige von männlichen Ausländern, die bereits hier arbeiteten – keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekamen. Oft nahmen sie dann – so der Bericht weiter – ohne diese Voraussetzungen irgendeine Arbeit auf, beispielsweise in kleineren Gaststätten:

„Wenn sie schwanger werden, entlässt sie der Arbeitgeber. Gegen die Lösung dieses an sich nichtigen Arbeitsverhältnisses kann nichts unternommen werden […], auch nicht von Seiten der Gewerbeaufsicht. Nach einer mündlichen Entscheidung des Arbeitsministeriums von Baden-Württemberg bestand das Arbeitsverhältnis nur de facto und nicht de jure, so dass die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes nicht angewandt werden können.“

Der Bericht bescheinigte den Ausländerinnen: „Arbeitsleistung der Griechinnen im großen Ganzen gut. […] Von allen Ausländerinnen in unserem Bezirk [wird] am meisten die Spanierin geschätzt.“ Eine besondere Rolle im Denken und Fühlen der Griechin – so der Bericht weiter – „scheint ‚der Mann‘ zu spielen“. Die verheirateten Frauen mussten in der Regel ihren Arbeitsverdienst den Männern abliefern, die Töchter dem Familienoberhaupt: „Die Männer geben dann das für Anschaffungen notwendige Geld heraus, soweit sie es nicht für sich selbst verbrauchen.“ In verschiedenen Betrieben und Krankenhäusern kochten die Frauen abends für ihre Ehemänner in den für das Personal zur Verfügung gestellten Küchen und setzten die Wäsche und Kleidung der Männer instand. Weiter heißt es im Bericht aus Stuttgart:

„Bei den Unverheirateten gibt es nicht selten wilde Eifersuchtsszenen und ab und zu einen Selbstmordversuch aus verschmähter Liebe. Im Übrigen scheinen die Griechen besonders gute Geschäftemacher zu sein, die mit allem und jedem handeln. In einem Wohnheim für Griechinnen haben sie den Frauen, gleich nach deren Ankunft, Tonbandgeräte auf Raten-zahlung aufgeschwatzt, in einem anderen Wohnheim Musiktruhen.“

Arbeitsmigrantinnen – Erfolgsgeschichten

Vom Schicksal der „Gastarbeiterinnen“ war lange Zeit keine Rede. Sie sind in der Erinnerungskultur immer noch nicht richtig präsent, auch wenn diese „blinden Flecken“ langsam geschlossen und die Leistungen der Arbeitsmigrantinnen gewürdigt werden. Anlässlich des historischen Jahrestages, dem 60. Jahrestages des Anwerbeabkommens mit der Türkei, eröffnete beispielsweise am 10. September 2021 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Gesprächsrunde mit Bürgerinnen und Bürgern mit türkischen Wurzeln mit den Worten:

„Sie alle haben nicht nur äußerlich das Gesicht unseres Landes verändert mit dem, was ihre Hände aufgebaut haben. Sondern sie haben die deutsche Gesellschaft im Innersten verändert. Und auch sechzig Jahre danach ist es nicht zu spät, Danke zu sagen.“


Frauen mit Migrationsgeschichte haben die „Gastarbeiterzeit“ längst hinter sich gelassen. Einige haben es beispielsweise in die Politik geschafft. Ein prominentes Beispiel ist Muhterem Aras (Grüne), die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg. Die Liste der erfolgreichen Frauen mit Einwanderungsgeschichte lässt sich fortsetzen. In Frankfurt übernahm 2023 die aus dem Iran stammende Nargess Eskandari-Grünberg vorübergehend die Amtsgeschäfte des Oberbürgermeisters. Die frühere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), war von 2001 bis 2008 Mitglied der Hambur-gischen Bürgerschaft und ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2021 ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Auch Kunst und Literatur haben Frauen mit Migrationsgeschichte bereichert. Emine Sevgi Özdamars erhielt 2022 Jahr den Georg-Büchner-Preis und den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Im PEN-Zentrum Deutschland finden sich zahlreiche Autorinnen, die durch das Programm „Writers-in-Exile“ gezielt gefördert wurden, wobei das Zentrum neuerdings vom Lyriker und Präsi-denten José F. A. Oliver geleitet wird, Sohn eines ehemaligen „Gastarbeiters“.

Arbeitsmigrantinnen – heute und in der Zukunft unentbehrlich

In der Pandemie hat sich gezeigt, wie sehr die Industrieländer von der Arbeitsmigration abhängig sind. So fehlten z. B. durch die coronabedingten Reisebeschränkungen im Herbst 2020 in Malaysia 37.000 Arbeitskräfte, vor allem aus Indonesien und Bangladesch. Das entspricht rund zehn Prozent aller Erntearbeiter bei der Haupterntezeit von Palm-ölfrüchten. Insbesondere in den „systemrelevanten Berufen“ wie im Gesundheitswesen sind Industrieländer wie Deutschland auf Zugewanderte angewiesen. Rund 20 Prozent der im Gesundheitswesen Beschäftigten haben weltweit einen Migrationshintergrund. In der Krise kam es hierzulande zu Engpässen in der Pflege, in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe. Viele Wirtschaftsbereiche – allen voran die Hotel- und Gaststättenbetriebe – wären ohne ausländische Arbeitskräfte schon lange zusammengebrochen.

Damit wurde deutlich, wie wichtig ausländische Fachkräfte gerade bei der Bekämpfung solcher Krisen wie der Pandemie sind, wobei den Frauen eine besondere Rolle zukommt. Bereits seit Langem haben 50 Prozent aller in Krankenhäusern Beschäftigten – vom Arzt bzw. der Ärztin bis zur Reinigungskraft – einen ausländischen Pass. Wenn man die Men-schen mit Einwanderungsgeschichte hinzuzählt, liegt der Anteil im Gesundheitsbereich insgesamt noch wesentlich höher. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt im Bundesdurchschnitt bei 20 Prozent, in manchen Bundeslän-dern wie in Thüringen ist er sogar deutlich höher (27 %). Immer mehr ausländische Fachkräfte arbeiten in medizinischen Berufen, derzeit rund 280.000. Ihre Zahl ist seit 2014 um 84 Prozent gestiegen. In der Altenpflege ist sogar ein Plus von 120 Prozent auf 82.000 zu verzeichnen. Bei den Fachkräften in der Krankenpflege und im Rettungsdienst stieg die Zahl um 84 Prozent auf 90.000. Ohne diese, vor allem auch weiblichen Arbeitskräfte könnte nicht nur in Krisenzeiten die Versorgung nicht aufrechterhalten werden.

Das Gesundheitswesen in Deutschland wird in Zukunft noch mehr auf ausländisches Personal und auf Zuwanderung angewiesen sein. Schon vor der Krise waren beispielsweise 1.500 Pflegestellen in baden-württembergischen Krankenhäusern nicht besetzt. Händeringend wartete die Krankenhausgesellschaft bereits auf Pflegepersonal, das im Ausland angeworben werden sollte, was aber durch das komplizierte Verfahren erschwert wurde. Bereits vor der Krise bereiste der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Länder wie den Kosovo, die Philippinen oder Mexiko, um Pflegekräfte ins Land zu locken. Die ganze Welt kämpfe mittlerweile um Pflegefachkräfte, so der Gesundheitsminister. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) setzten die Anwerbeversuche für Pflegekräfte 2023 in Ghana fort.

Wegen der COVID-19-Pandemie drohte ein Versorgungsnotstand in der häuslichen Pflege, den zurzeit noch zahlreiche migrantische Frauen mildern. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) rechnet wegen fehlender Pflegekräfte aus Osteuropa damit, dass bis zu 200.000 alte Menschen schon bald nicht mehr versorgt werden könnten. Nach Einschätzung des Verbandes sind 300.000 bis 500.000 ausländische Betreuungskräfte in deutschen Privathaushalten tätig, von denen 90 Prozent „illegal“ arbeiten würden.

Insgesamt leidet Deutschland unter dem demografischen Wandel. Landauf landab werden hängedringend Arbeitskräfte gesucht. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erreicht der Fachkräftemangel jetzt ein Rekordniveau seit Beginn des
Beobachtungszeitraum im Jahr 2010. Mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte konnten nicht besetzt werden, weil es keine Arbeitssuchenden mit der erforderlichen Qualifikation gibt, wobei der Bereich Gesundheit eine besondere Rolle spielt. Unter den Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind, befinden sich viele, die hierbleiben werden. So sind die geflüchteten Frauen aus der Ukraine zum Beispiel meist beruflich gut qualifiziert und könnten eine Bereicherung für den Arbeitsmarkt sein.

Geflüchtete Frauen und Migrantinnen besser schützen

In einer Stellungnahme zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen im November 2022 forderten Flüchtlingsräte, geflüchtete Frauen in Deutschland besser vor Gewalt zu schützen und sie menschenwürdig aufzunehmen. In den Herkunftsländern der geflüchteten Frauen sei physische, sexualisierte, psychische und strukturelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen vielfach alltägliche Praxis. Dazu gehören Zwangsverheiratungen, drohende Femizide, Genitalverstümmelungen, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution und Menschenhandel, so die Flüchtlingsräte in ihrer Stellungnahme. In Kriegen gehören systematische Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen häufig zur Kriegsstrategie, heißt es weiter. Frauen, denen die Flucht aus ihrer Heimat gelingt, würden sich regelmäßig in einer kaum endenden Gewaltspirale befinden. Auf dem oft monate- oder jahrelangen Fluchtweg erlebten sie überproportional häufig weitere Gewalt. Nicht selten würden sich leidvolle Erfahrungen, Diskriminierung und Gewalt sogar für diejenigen Frauen fortsetzen, die nach Deutschland geflohen seien.

Die Flüchtlingsräte, allen voran PRO ASYL, erinnern in diesem Zusammenhang an den umfassenden Bericht einer Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO). Das unabhängige Gremium zur Überwachung von Men-schenrechten kontrolliert die Umsetzung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention). In diesem Übereinkommen haben sich die Vertragsstaaten, darunter auch Deutschland, 2011 verpflichtet, Frauen umfassend vor häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.

Im Bericht des Kontrollausschusses werden zahlreiche Mängel aufgelistet und der Bundesregierung konkrete und zügig umzusetzende Aufgaben zugewiesen, beispielsweise was die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung oder ein unabhängiges Aufenthaltsrecht betrifft.

Von einer Gleichstellung der Geschlechter – eines der 17 Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung – sind wir noch weit entfernt. Nach Angaben von UN Women sind in ihrem Leben ca. 736 Millionen Frauen weltweit von Gewalt betroffen. Die Erwerbsquote von Frauen der Altersgruppe 25 bis 54 Jahre liegt bei 63 Prozent – das sind 31 Prozent weniger als bei Männern in der gleichen Altersgruppe. Auch von der Klimakrise sind Frauen besonders betroffen. Erkenntnisse der Vereinten Nationen und Oxfams belegen, dass bereits heute rund 80 Prozent der Menschen, die durch die Klimaveränderungen ihre Heimat verlieren, Frauen sind.

In Afghanistan werden Frauen nach dem katastrophalen Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme durch die Taliban wieder systematisch unterdrückt und aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Ihnen wurde das Recht auf Bildung, politische Teilhabe oder freie Ausübung eines Berufes genommen.

Afghanistan stand 2022 mit 41.471 Asylanträgen an zweiter Stelle der Herkunftsländer. An der Spitze lagen jedoch die Geflüchteten aus Syrien mit 72.646 Anträgen, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund geraten sind. Dabei liegt die Schutzquote bei den Männern und Frauen aus dem Bürgerkrieg in Syrien bei 90 Prozent, beim Herkunftsland Afghanistan bei über 83 Prozent. Auch aus dem Iran und dem Irak fliehen Frauen, weil sie verfolgt und ihre Menschenrechte verletzt werden. Die Unterdrückung von Frauen im Iran geriet 2022 weltweit in die Schlagzeilen. Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die inhaftiert wurde, weil sie angeblich ihren Hijab nicht korrekt getragen haben soll und dann im September 2022 in Polizeigewahrsam starb, löste landesweite Proteste von Frauen aus.

Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 stehen die Geflüchteten aus diesem Land, vor allem Frauen und Kinder, im Mittelpunkt. Über vier Millionen Kriegsflüchtlinge flohen in die Europäische Union und ihre Nachbarstaaten. Viele von ihnen wurden von engagierten Bürgerinnen und Bürger spontan aufgenommen. Die Europäische Union setzte am 3. März 2022 die Richtlinie über den „Vorübergehenden Schutz“ in Kraft und stellte den Geflüchteten frei, welches Zufluchtsland sie wählen wollten. Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben das Recht auf Arbeit, medizinische Versorgung und Unterstützung. Europa sah sich mit der größten Fluchtbewegung seit 1947 konfrontiert.

Inzwischen sind vor allem die Kommunen mit der Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine überlastet. Auch wenn sich die Stimmung in der Bevölkerung verschlechtert hat, hielten es im Frühjahr 2023 dennoch 84 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für richtig, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt, die vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen  (–10 im Vergleich zu Februar 2016). 70 Prozent unterstützen die Aufnahme von Menschen, die wegen Hunger- oder Naturkatastrophen aus ihrem Heimatland geflohen sind (–9 im Vergleich zu September 2015). Zwei Drittel (68 Prozent) unterstützen die Aufnahme von Flüchtlingen, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden (–5 im Vergleich zu Februar 2016), so der ARD-DeutschlandTrend vom 4. Mai 2023.

Letztendlich geht es darum, die spezifischen Gründe, die Frauen zur Flucht zwingen, zu berücksichtigen und zu beseitigen. So hat die Fachkommission Fluchtursachen der Bundesregierung gefordert, dass diese bei allen Strategien und Maßnahmen Frauen konsequent einbindet und deren Rechte schützen sollte, um die Ursachen von Flucht erfolgreich zu reduzieren. Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und eine höhere Beteiligung von Frauen würden sich positiv auf Krisenprävention, Friedenssicherung und nachhaltige Entwicklung auswirken. Dafür bräuchten Frauen eine gute Gesundheitsversorgung einschließlich Familienplanung, Bildung sowie Arbeits- und Beteiligungsmöglichkeiten. Auch für den Schutz vor Diskriminierung und Gewalt sowie für die Rechte der Frauen sollte sich Deutschland konsequent einsetzen. Frauen auf der Flucht seien in besonderer Weise auf Schutz und Unterstützung angewiesen.

Eines ist sicher, so Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): Es müssen mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten für Frauen und Männer geschaffen werden, damit nicht die viel kritisierte illegale Einwanderung als vermeintlicher Ausweg noch mehr an Bedeutung gewinnt und weiterhin Menschen auf der tödlichsten Migrationsroute im Mittelmeer ums Leben kommen.

Aus der Gewalt des „Islamischen Staates“ nach Baden-Württemberg

Unter diesem Titel ist ein Buch erschienen, das sich ausführlich mit dem Projekt beschäftigt, in dem Baden-Württemberg in den Jahren 2015 und 2016 rund 1.100 besonders schutzbedürftige Jesidinnen und ihre Kinder aus dem Nordirak aufgenommen und damit ein Signal für eine humane Flüchtlingspolitik gesetzt hat. Sie konnten so den Gräueltaten des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) entkommen. Darunter war auch Nadia Murad, die 2016 eine Rede im Landtag hielt und 2018 den Friedensnobelpreis überreicht bekam. Als UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel kämpft sie weiterhin für die Rechte der Frauen.


Um das Pilotprojekt, das durchaus Modellwirkung hatte, ist es zwischenzeitlich etwas still geworden, auch wenn andere Bundesländer dem Vorbild gefolgt waren und Baden-Württemberg rund 56 Millionen Euro für das Projekt ausgegeben hatte. Erst Anfang 2023 geriet das Thema „Jesiden“ insgesamt wieder in die Schlagzeilen, vor allem als der Bundestag am 19. Januar 2023 die Gräueltaten des IS einstimmig als Völkermord anerkannte. Gerade den geflüchteten Frauen ist es zu verdanken, dass dieser Beschluss zustande kam und die 200.000 Jesidinnen und Jesiden, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, Hoffnung schöpfen konnten. Der Bundestag beschloss, die „besonders vulnerable Si-tuation“ der Kinder im Blickpunk zu behalten und ihre Integration zu unterstützen. Acht Jahre, nachdem Tausende Jesidinnen und Jesiden vom IS ermordet, verschleppt und ver-sklavt wurden, leben immer noch rund 300.000 Geflüchtete in Camps. Baden-Württemberg will – wie im Koalitionsvertrag der Landesregierung vereinbart – mit einem neuen Hilfsprogramm bis zu 200 weitere Härtefälle aufnehmen und hat dazu 2,1 Millionen Euro für 2023 eingeplant. Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Familienzusammenführung dar, auf die der Traumatologe Jan Ilhan Kizilhan, der die Jesidinnen betreut, hinweist.

Veranstaltungshinweis: Das Thema „Frauen, Flucht und Migration“ lange vernachlässigt

Tagung des MIF am 12. Oktober 2023

Lange Zeit wurde das Thema „Frauen, Flucht und Migration“ vernachlässigt. Durch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in der Mehrzahl Frauen sind, ist es in die Schlagzeilen gerückt. Immer wieder werden kriegerische Konflikte oder Menschenrechtsverletzungen Frauen zur Flucht zwingen. So waren im Frühjahr 2023 unerwartet 860.000 Flüchtlinge und Rückkehrer – darunter viele Frauen und Kinder – aufgrund der Eskalation des Konflikts im Sudan auf die Hilfe des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen angewiesen. Bei der Beseitigung der Fluchtursachen, die eher zunehmen, steht die internationale Völkergemeinschaft insgesamt vor einer Jahrhundertaufgabe.


Das Migrations- und Integrationsforum Baden-Württemberg (MIF) vertieft das Thema „Frauen, Flucht und Migration“ mit einer Tagung am 12. Oktober 2023 in Stuttgart im Hospitalhof. Als Gäste haben bereits zugesagt: Landtagspräsidentin Muhterem MdL, José F. A. Oliver (Präsident des PEN-Zentrum Deutschland), Dr. Steffen Angenendt (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP), Prof. Dr. Annette Treibel-Illian (PH Karlsruhe), Dr. Michael Blume (Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus), Prof. Dr. Jan Kizilhan (DHBW Villingen-Schwenningen), die Kulturwissenschaftlerin Dr. Nesrin Tanç, Expertinnen aus der praktischen Arbeit mit geflüchteten Frauen und natürlich geflüchtete Frauen selbst.

Über den Autor

Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun (www.meier-braun.de) ist baden-württembergischer Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (DGVN). Er ist Migrationsexperte, Honorarprofessor an der Universität Tübingen und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema  Migration und Integration. Lange Jahre war er Redaktionsleiter und Integrationsbeauftragter des Südwestrundfunks (SWR). 2021 wurde er für sein Engagement in der Integrationsarbeit mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Quellen

Literaturangaben

Ackermann, Tina: Frauen auf der Flucht. Wer sie sind und was sie erlebt haben, Zürich 2022.

Farrokhzad, Schahrzad/Scherschel, Karin/Schmitt, Melanie (Hrsg.): Geflüchtete Frauen. Analysen – Lebenssituationen – Angebotsstrukturen, Wiesbaden 2022.

Junne, Florian u. a. (Hrsg): Aus der Gewalt des „Islamischen Staates“ nach Baden-Württemberg. Evaluation des Sonderkontingents für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak, Weinheim 2019.

Liakova, Marina: Migration und Gender, in: Karl-Heinz Meier-Braun/Reinhold Weber: Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen, 3. Aufl., Stuttgart 2017 S. 190 ff.

Meier-Braun, Karl-Heinz: Die Verlierer des Golfkrieges, in: LpB Baden-Württemberg (Hrsg.): Die Golfregion in der Weltpolitik, Stuttgart 1991, S. 189 ff.

Meier-Braun, Karl-Heinz/Reinhold Weber (Hrsg.): Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen, 3. Aufl., Stuttgart 2017.

Meier-Braun, Karl-Heinz/Weber Reinhold: Ein Koffer voll Hoffnung. Das Einwanderungsland Baden-Württemberg, Tübingen 2019.

Meier-Braun, Karl-Heinz: Einwanderung und Asyl. Die 101 wichtigsten Fragen, 3. Aufl., München 2017.

Meier-Braun, Karl-Heinz: Schwarzbuch Migration. Die dunkle Seite unserer Flüchtlingspolitik, München 2018.

Meier-Braun, Karl-Heinz: Fluchtursachen beseitigen! Die internationale Völkergemeinschaft steht vor einer Jahrhundertaufgabe, in: Todesursache Flucht, hrsg. von Kristina Milz und Anja Tuckermann, 3. Aufl., Berlin 2023.

Murad, Nadia (zus. mit Jenna Krajeski): Ich bin eure Stimme: Das Mädchen, das dem Islamischen Staat entkam und gegen Gewalt und Versklavung kämpft, München 2017.

Tanç, Nesrin: „Ne kaldı? Ne kalacak? Was ist geblieben? Was bleibt? Erinnern an die sogenannten Gastarbeiter:innen aus der Türkei“, erschienen in der ifa-Edition Kultur und Außenpolitik, 2021 (Volltext hier).

Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, 2. Aufl., Weinheim 2011.

Welser, Maria von: Kein Schutz – nirgends. Frauen und Kinder auf der Flucht, München 2016.

Internetlinks

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Dossier zum Thema Klimaflucht
Dossier zum Thema Gewalt gegen Frauen
Dossier zum Thema Migration in der Corona-Pandemie
Dossier zum Thema Geflüchtete in Deutschland
 

Bundezentrale für politische Bildung

Beitrag zum Thema Frauen in der Migration
Beitrag zum Thema Gewalt gegen Frauen
Zeitschrift zum Thema Femizid
 

Statistiken

„Nein, ich will nicht!“ – Zwangsverheiratung in Baden-Württemberg (statistik-bw.de)
Menschen auf der Flucht nach Geschlecht und Alter 2021 (Statista)
Global Migration Data Analysis Centre (iom.int.)
 

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Bericht zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt"
 

Bundesminitserium für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Ayalyse zum Thema geflüchtete Frauen in Deutschland

 

 

 

Letzte Aktualisierung: Juni 2023, Internetredaktion LpB BW

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