Rechtsstudie: Zusammenfassung der Ergebnisse

In Kürze

Die Rechtsstudie "Das Recht zu schützen – Proaktive Flüchtlingsaufnahme von Ländern und Kommunen" untersucht die rechtlichen Möglichkeiten für die Aufnahme von Schutzsuchenden von Städten und Kommunen im föderalen Mehrebenensystem. Hier werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

Post-it Wand

Städte und Gemeinden erleben derzeit ein Revival als Akteure der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Es wird von einem local turn in diesem (seit der Moderne) stark national gefassten Politik- und Rechtsbereich gesprochen. Neben der viel beachteten Aufgabe der „Integration“ in lokale Gemeinschaften umfassen die kommunalen Handlungsfelder auch das Bleiberecht und die Aufnahme von Schutzsuchenden aus dem Ausland. Mit Städten der Zuflucht wird ein Konzept eingeführt, das die aktuelle proaktive Aufnahmepolitik von Kommunen aufgreift und dies in den Rechtsrahmen des Mehrebenensystems aus Völker- und EU-Recht sowie des deutschen föderalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts für Bund, Länder und Kommunen einordnet.

Die vorliegende Studie untersucht und beleuchtet die Verflechtungen des Flucht- und Migrationsrechts im Mehrebensystem - auf der nationalen Ebene (Bund), auf der supra- und internationalen Ebene (EU, UN u. Ä.) und der subnationalen Ebene (Länder, Kommunen). Die Kommunen und Länder spielen auch im Bereich der Aufnahme von Schutzsuchenden aus dem Ausland eine wichtige Rolle für den demokratischen Staatsaufbau „von unten“ – nicht nur als rechtsumsetzende Ebenen, sondern auch als politisch transformative Kraft.

Städte der Zuflucht haben innerhalb des geltenden Rechtsrahmens in den letzten Jahren eine deutlich sichtbare proaktive Aufnahmepolitik verfolgt. Sie haben ihre rechtlichen Kompetenzen ausgelotet und fordern eine engere Einbindung in die zentralstaatlichen Aufnahmeentscheidungen. Städte der Zuflucht machten mit ihrer Aufnahmepolitik zum einen auf die im Flüchtlingsrecht bestehende Schutzlücke eines individuellen Rechts auf Zuflucht bzw. einer staatlichen Aufnahmepflicht und zum anderen auf die existierenden rechtlichen Möglichkeiten der freiwilligen Aufnahme aufmerksam.
Die proaktive Flüchtlingsaufnahmepolitik der Kommunen in Deutschland wird von einem wechselseitigen Zusammenspiel aus politischen und konzeptuellen Ideen sowie juristischer Beratung getragen. Die Studie basiert auf Impulsen und Debatten, die seit 2016 als Teil dieses Zusammenspiels unterschiedlicher Akteur:innen, zu denen insbesondere die Seebrücke und die Sicheren Häfen, Solidarity City, das International Cities of Refuge Network (ICORN) sowie die Kommunale Integrations- und Entwicklungsinitiative MIDI, aber auch Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen sowie eine Reihe von Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker:innen gehören.

I.  Einbindung der subnationalen Aufnahmepolitik: Potenzial eines langfristigen und demokratisch lokal-verwurzelten Aufnahmerechts

Die aufnahmebereiten Städte der Zuflucht knüpfen an diese rechtlichen Möglichkeiten politisch und im Rahmen konkreter Aufnahmeverwaltungsverfahren an. Dies entspricht den kommunalen Kompetenzen zur freiwilligen Selbstverwaltung einerseits und ihrer Einbindung in die Staatsverwaltung andererseits. Hiermit fördern sie die rechtlich-diskursive Festigung des im Entstehen befindlichen Aufnahmerechts und die praktische Anwendung der theoretisch bestehenden, aber staatlicherseits teils zögerlich angewandten Rechtsgrundlagen. In einer noch engeren Einbindung dieser subnationalen Aufnahmepolitik liegt das Potenzial eines langfristigen und demokratisch lokal-verwurzelten Aufnahmerechts. Dies entspricht zum einen den Rechtsgedanken des Föderalismus von bürgerlicher Partizipation und gestufter Demokratie, von Dezentralisation und vertikaler Gewaltenteilung sowie von Subsidiarität und Kooperation und zum anderen denen der universellen Menschenrechte sowie der zwischenstaatlichen Solidarität und ließe sich als glokaler Kosmopolitismus im Sinne Derridas bezeichnen.

II.  EU- und Völkerrecht: Die glokale bzw. transnational-interkommunale Ebene des Flüchtlingsschutzes

Die Analyse des EU- und Völkerrechts hat ergeben, dass der weltweite Flüchtlingsschutz eine zunehmende rechtliche Absicherung durch die Grund- und Menschenrechte u. a. in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und Grundrechtecharta erfahren hat. Dabei wurde auch das Recht der Staaten zur Asylgewährung insbesondere in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Erklärung über territoriales Asyl festgehalten und die Prinzipien zur zwischenstaatlichen Solidarität aus der UN-Charta und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entwickelt. Das Ziel der Bereitstellung legaler Zugangswege findet sich heute zudem in gemeinsamen nationalstaatlichen Absichtserklärungen wie dem UN-Flüchtlingspakt, aber auch in der Europaratskonvention gegen Menschenhandel. An diese Vorgaben und Mindeststandards sind alle drei Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – gebunden. Städte der Zuflucht können sich insofern sowohl politisch als auch in der Rechtsanwendung hierauf berufen. Der UN-Flüchtlingspakt sieht die Einbindung lokaler Akteure zudem ausdrücklich vor. Das Völker- und EU-Recht trifft allerdings keine Vorgaben, welche Ebene für die Umsetzung zuständig ist oder einen höheren Standard einführen darf. Dies wird dem nationalen Recht überlassen, welches neben den Menschenrechten und Solidaritätsprinzipien jedoch auch den Subsidiaritätsgedanken aus der Europaratscharta zur kommunalen Selbstverwaltung, dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der EU-Grundrechtecharta beachten muss.

Städte der Zuflucht sind über transnationale und interkommunale Netzwerke (wie ICORN, Solidarity Cities, From the Sea to the City), über die Kooperation mit Institutionen (wie UNHCR, EU und Europarat) sowie über die Bezugnahme auf internationale und europäische Normen (wie die Menschenrechte und Solidaritätsprinzipien) längst in hohem Maße grenzüberschreitend im Bereich der Flüchtlingsaufnahme aktiv. Hierdurch entsteht eine eigene glokale bzw. transnational-interkommunale Ebene. Eine weitere Fragmentierung der Rechtsordnung wird dabei jedoch weitestgehend durch die staatsorganisationsrechtliche Eingliederung der Kommunen eingefangen. Ihre Aktivitäten können aber als Teil der politisch-juridischen Auseinandersetzungen um den geltenden Flüchtlingsschutz betrachtet werden. Sie tragen zur Verfestigung der Mindeststandards bei und beteiligen sich an der Normgenerierung zum Aufnahmerecht.

III.  Innerstaatliche Kompetenzaufteilung: Eine Dezentralisierung der Aufnahme von Schutzsuchenden im Rahmen des Grundgesetzes

Die Betrachtung der innerstaatlichen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern in der föderalen Bundesrepublik zeigt, dass der Bund in Abkehr von der grundsätzlichen Landeszuständigkeit weitgehende Befugnisse im Bereich der Aufnahme von Schutzsuchenden an sich gezogen hat. Dies erfolgte im Rahmen der einfachgesetzlichen Rechtsetzung und ist verfassungsrechtlich zwar zulässig, jedoch nicht zwingend, sodass eine Dezentralisierung im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist und angesichts der verfassungsrechtlichen Grundsätze zur kommunalen Selbstverwaltung und Landeszuständigkeit sogar gewollt erscheint.

Die für die Aufnahme von Schutzsuchenden einschlägigen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen für das „Aufenthaltsrecht“ und die „Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4, 6 GG) hat der Bund angesichts seines Anspruchs auf eine Gesamtkonzeption der „Migrationssteuerung“ mit dem AufenthG und AsylG abschließend ausgeübt. Die konditionierte Zuständigkeit für Ersteres durfte er zur Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse wahrnehmen (Art. 72 Abs. 2 GG). Die Länder können derzeit eigene oder kommunale Befugnisse in der Flüchtlingsaufnahme daher nur noch im Rahmen ihrer bestehenden Verwaltungszuständigkeiten oder von bundesgesetzlichen Öffnungsklauseln regeln.

Eine Verwaltungszuständigkeit in Landeseigenverwaltung besteht dagegen nach aktueller Rechtslage für den Erlass von Landesaufnahmeprogrammen, bei der Unterbringung und Verteilung sowie in der Beteiligung am Visumverfahren und an Bundesaufnahmeprogrammen (Art. 83, 84 GG i. V. m. AufenthG, AsylG). Dem Bund ist demgegenüber einfachgesetzlich die verfassungsrechtlich fakultative Verwaltungszuständigkeit für die Schutzzuerkennung im Asylverfahren inklusive der Übernahmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten, für die Visumerteilung und für den Erlass von Bundesaufnahmeprogrammen zugewiesen sowie teils die bundesweite Verteilung. In beide Richtungen bestehen Mitwirkungsrechte des Bundes bzw. der Länder i. S. d. kooperativen Föderalismus. Auch hier ist eine Dezentralisierung im Sinne der föderalen Grundsätze denkbar.

IV.  Zuständigkeiten der Kommunen: Selbstverwaltungsrecht und Aufgabenübertragung durch die Länder

Die Kommunen verfügen im Bereich der Aufnahme von Schutzsuchenden über Zuständigkeiten zum einen aus ihrem verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG; Landesverfassungen) und zum anderen aus der einfachgesetzlichen Übertragung von Aufgaben durch die Länder (Art. 84 Abs. 1 GG; Landesrecht).

Auf der Grundlage ihres freiwilligen Selbstverwaltungsrechts dürfen Städte der Zuflucht eine eigene proaktive Aufnahmepolitik betreiben, solange dabei ein spezifischer Ortsbezug gegeben bleibt. Sie dürfen sich insbesondere mit der Aufnahme in ihren Ort befassen und sich hierzu äußern, so wie dies die Sicheren Häfen und die Kommunen rund um „50 aus Idomeni“ getan haben. Sie dürfen etwa im Stadt- oder Gemeinderat die Aufnahmebereitschaft der lokalen Zivilgesellschaft diskutieren, diese feststellen und die Kommunalverwaltung z. B. die Bürgermeister:innen zu weiteren Erklärungen, darunter auch auf interkommunaler und transnationaler Ebene ermächtigen. Neben diesen Diskursrechten ist die Aktivierung weiterer Gemeindehoheiten etwa zum Aufbau von Aufnahmekapazitäten und von Multi-Akteur Welcome-Centern für Schutzsuchende sowie von finanziellen Unterstützungen denkbar.

Eine Befugnis zur eigenständigen Aufnahmeentscheidung der Kommunen ist hiermit zwar nicht verbunden, die Kommunen können diese aber politisch und in den konkreten Aufnahmeverwaltungsverfahren, in die sie teils eingebunden sind, beeinflussen. Die Entscheidungsträger bei Bund, Ländern und Kommunen können (bzw. müssen in einer Ermessensentscheidung) an die in freiwilliger Selbstverwaltung generierte zusätzliche Aufnahmebereitschaft der Städte der Zuflucht anknüpfen. Dies kann etwa durch eine überquotale Zuweisung von Aufzunehmenden erfolgen, so wie dies bereits für die Aufnahme von Seenotgeretteten in Sichere Häfen praktiziert wird, wie auch im Rahmen von Visumverfahren und Aufnahmeprogrammen.

V.  Ermessensspielräume der kommunalen Ausländerbehörden im Visumsrecht

Die Letztentscheidungsbefugnis über die Einreise liegt in allen Aufnahmemechanismen beim Bund, allerdings teilweise unter der Beteiligung der Länder bzw. der beauftragten Kommunen. Die Zuständigkeit für die Ausführung des AufenthG in Landeseigenverwaltung haben die Länder größtenteils den kommunalen Ausländerbehörden als Weisungs- bzw. Auftragsaufgabe übertragen (§ 71 Abs. 1 AufenthG i. V. m Landesrecht). Somit sind sie auch zuständig für die Abgabe von Vorabzustimmungen zur Visumerteilung an Schutzsuchende (§§ 31 ff., ersetzbar durch die obersten Landesbehörden, § 32 AufenthV) durch den Auswärtigen Dienst des Bundes (§ 71 Abs. 2 AufenthG) und können hierüber die Aufnahme fördern. Dabei verfügen sie über bundesgesetzlich eingeräumte Interpretations- und Ermessensspielräume, die allerdings durch die Fachaufsicht der Länder verkleinert werden können.

Die zahlreichen Kopplungstatbestände aus unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessenseinräumung im Visumrecht gewähren den kommunalen Ausländerbehörden eine erhebliche Diskretionsmacht. In die Ermessensausübung und die Auslegung der unbestimmten Tatbestandsmerkmale muss die Aufnahmebereitschaft von Städten der Zuflucht als erklärte „Aufnahme- und Integrationsfähigkeit“, als „Erfüllung der humanitären Verpflichtungen“ und ggf. als „wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Interessen“ im Sinne des allgemeinen Zwecks des AufenthG (§ 1 Abs. 1 AufenthG) zugunsten der Aufnahme einbezogen werden. Dies könnte gesetzlich oder in Verwaltungsvorschriften des Bundes, der Länder und der Kommunen, die Träger einer Ausländerbehörde sind, klargestellt werden.
In Bezug auf die allgemeinen Visumvoraussetzungen (insb. Pass, Lebensunterhalt und Rückkehrperspektive bei vorübergehenden Aufenthalten (§ 5 Abs. 1) sowie Wohnraum beim Familiennachzug (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) können die zuständigen Behörden wie Ausländerbehörden, Auswärtiger Dienst, oberste Landesbehörden und BMI für die Aufnahme von Schutzsuchenden in eine Stadt der Zuflucht Gebrauch machen von den Ermessensausnahmen bei humanitären Visa, Aufnahmeprogrammen und Familiennachzug (Art. 25 Abs. 1 a) Visakodex ;§ 5 Abs. 3 S. 2, § 29 Abs. 2 S. 2 AufenthG) sowie von der Ausnahme in atypischen Fällen (§ 5 Abs. 1 HS. 1 AufenthG). Städte der Zuflucht dürfen außerdem finanzielle oder infrastrukturelle Maßnahmen einleiten, um die Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnraums zu unterstützen (§ 68 AufenthG), so wie dies bereits die Mitgliedstädte von International Cities of Refuge Network (ICORN) tun.

Die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen der sog. humanitären Visa sind sehr weit gefasst und werden bislang nur für die Aufnahme von sehr wenigen Schutzsuchenden genutzt. Hierzu gehört das EU-Visum für einen Kurzaufenthalt (Art. 25 Abs. 1 a) Visakodex), das nach Auffassung des EuGH nicht zum Zwecke der Durchführung eines Asylverfahrens anwendbar ist. Es liegt aber ein Gesetzesvorschlag des EU-Parlaments für ein europäisches Asylvisum vor, dem sich die Kommunen über den Ausschuss der Regionen anschließen könnten. In das EU-Visumerteilungsverfahren sind sie formal nicht eingebunden, sodass Städte der Zuflucht allenfalls Unterstützungsschreiben zur Vorlage bei den zuständigen Auslandsvertretungen formulieren können, etwa für eine kurzfristige Versorgung in einem lokalen Krankenhaus.

Der Erteilung von nationalen Visa für einen längerfristigen Aufenthalt aus „humanitären“ oder „völkerrechtlichen Gründen“ (§ 22 S. 1 AufenthG) müssen die kommunalen Ausländerbehörden hingegen zustimmen, sodass sie die Verfahren durch die Abgabe einer Vorabzustimmung auf der Grundlage von kommunalen Aufnahmebereitschaftserklärungen fördern können (§ 30 Abs. 1, 3 AufenthV). Das Verfahren für Visa wegen „politischer Interessen der Bundesrepublik“, die etwa 2021 den sog. afghanischen Ortskräften erteilt wurden, obliegt dagegen ausschließlich dem Bund (§ 22 S. 2 AufenthG). Wenn die Aufnahme im politischen Interesse der Länder oder Kommunen liegt, können sich diese nur außerhalb des formalisierten Verfahrens an das zuständige BMI und den Auswärtigen Dienst wenden. Ein Asylvisum ist im AufenthG nicht ausdrücklich geregelt, wäre aber nach verschiedenen Rechtsgrundlagen denkbar (§ 6 Abs. Abs. 3 S. 2 AufenthG i. V. m. § 55 Abs. 1 AsylG; § 25 Abs. 1–3 AufenthG; oder § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG).

VI.  Stärkere Einbindung von Kommunen in den Entschließungsprozess von Aufnahmeprogrammen

Aufnahmeprogramme können die Visumerteilung an eine bestimmte Gruppe von Schutzsuchenden vereinfachen und dürfen durch die Länder bzw. Stadtstaaten sowie den Bund in Kooperation mit den jeweils anderen erlassen werden (§ 23 Abs. 1, 2, 4 AufenthG). Die äußerst weit formulierten Ermächtigungsgrundlagen bieten dem zuständigen BMI und den obersten Landesbehörden genügend Entschließungs- und Ausgestaltungsermessen, um Städte der Zuflucht stärker in den Entschließungsprozess, die Ausgestaltung und die Durchführung der Programme einzubinden. So kann eine überquotale Verteilung entsprechend der zusätzlichen Aufnahmebereitschaft erfolgen und die Platzanzahl der Programme erhöht bzw. zugunsten einer individuellen Aufnahmezusage der Kommune z. B. in Form der Vorabzustimmung offengelassen werden. Dies könnte die gesellschaftliche Aufnahmebereitschaft mobilisieren, die Aufnahme lokal demokratisieren und mit der örtlichen Sachkompetenz gesellschaftsnah rückkoppeln. Eine Gesetzesänderung ist lediglich vonnöten, wenn die Kommunen eigenständig ein Aufnahmeprogramm beschließen können sollen.

VII.  Bildungs-, Arbeits- und Familienvisa auch für Schutzsuchende

Bildungs-, Arbeits- und Familienvisa werden zwar nicht zu humanitären Aufenthaltszwecken erteilt (§§ 16 ff., 18 ff., 27 ff. AufenthG), sie dürfen aber dennoch auch von Schutzsuchenden beantragt werden und können einen komplementären legalen Zugangsweg zum Schutz i. S. d. des UNHCR bieten. Von bestimmten Visa sind sie allerdings ausgeschlossen, wenn sie sich in einem Mitgliedstaat aufhalten (§ 19f Abs. 1 AufenthG). Schutzsuchende haben zudem erhebliche Schwierigkeiten, die strikten Erteilungsvoraussetzungen zu erfüllen bzw. nachzuweisen; Ausnahmen hiervon sind nicht vorgesehen. Die humanitären Aufnahmegründe und die Aufnahmebereitschaft von Städten der Zuflucht sind aber auch hier in das Ermessen einzubeziehen und können einen atypischen Fall für die allgemeinen Regelvoraussetzungen begründen. Die kommunalen Ausländerbehörden können dem nachkommen, wenn sie die erforderliche Vorab-/Zustimmung für Visa zu Familiennachzug, Schulbesuch oder selbstständiger Tätigkeit abgeben. Außerdem können lokale Bildungseinrichtungen Zugangserleichterungen beschließen und Arbeitgebende Arbeitsplätze zusagen, um Schutzsuchenden die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen zu erleichtern, ähnlich wie das Städte-Netzwerk ICORN dies praktiziert.

Die Visa werden grundsätzlich für einen Aufenthalt im gesamten Bundesgebiet erteilt (§ 12 Abs. 1 AufenthG). Eine Nebenbestimmung mit einer Freizügigkeitsbeschränkung auf Städte der Zuflucht kann sinnvoll sein, um die Akzeptanz des kommunalen Ansatzes zu fördern und Einwänden zu begegnen, andere Gebietskörperschaften müssten die Aufnahme qua Freizügigkeit der Aufgenommenen faktisch mittragen. Bereits jetzt gilt für humanitäre Aufenthaltstitel eine gesetzliche Wohnsitzauflage von drei Jahren (§ 12a AufenthG). Eine darüberhinausgehende Beschränkung im Ermessenswege (§ 12 Abs. 2 AufenthG) ist angesichts des Grund- und Menschenrechts auf Freizügigkeit nicht verhältnismäßig, soweit der Aufenthaltstitel auf der Grundlage der allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen erteilt und keine spezielle Rechtsgrundlage zur Aufnahme in Städte der Zuflucht eingeführt wird.

Fazit: Durchlässigkeit der Zuständigkeitsordnung des Mehrebensystems zur Aufnahme Schutzsuchender

Im Ergebnis zeigt die rechtliche Zuständigkeitsordnung des Mehrebenensystems zur Aufnahme von Schutzsuchenden eine gewisse Durchlässigkeit von der Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände (Kommunen) über die Länder und den Bund bis hin zur EU und UN. Sie erlaubt nicht nur, dass eine Top-down-Zuweisung von staatlich aufgenommenen Geflüchteten zu den Kommunen stattfindet, sondern auch, dass sich deren Aufnahmebereitschaft auf das Handeln der höheren Ebenen auswirkt. So kann die kommunal erzeugte Aufnahmebereitschaft für die Aufnahmeentscheidung an Bund und Länder „nach oben“ gereicht und damit eine Aufnahme „von unten“ initiiert werden. Durch die enge Einbindung der Städte und Gemeinden in die Aufnahmeentscheidung kann die Aufnahmebereitschaft der örtlichen Aufnahmegesellschaft erst geschaffen und gefördert werden. Dies wird dem demokratischen Staatsaufbau von unten und der völkerrechtlichen Zielsetzung von (kommunaler) Flüchtlingsaufnahme in besonderer Weise gerecht.