Pressemitteilung Aktuell Deutschland 02. Dezember 2020

Maßnahmenpaket gegen Rassismus nicht ausreichend

Eine Frau spricht in ein Mikrofon

Die Aktivistin Newroz Duman spricht bei einer Demonstration im Februar 2020 in Hanau in Gedenken an die Opfer des Anschlags.

Amnesty International sieht im heute beschlossenen Maßnahmenpaket der Bundesregierung gute Ansätze für die Bekämpfung von Rassismus. Die Vorschläge bleiben jedoch zu vage und klammern die Rolle der Sicherheitsbehörden zu sehr aus.

Das Maßnahmenpaket zeigt, dass der Bundesregierung die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus etwas wert ist: bis 2024 soll über eine Milliarde Euro investiert werden. "Das ist ein wichtiges Signal – allerdings reichen Geldmittel und eine lange Liste an Maßnahmen nicht aus. Viele der Ansätze fanden sich so oder ähnlich auch schon in den Abschlussempfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages von 2013 und im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus der Bundesregierung von 2017. Sie wurden aber nie vollständig umgesetzt", sagt Dr. Maria Scharlau, Expertin für Anti-Rassismus bei Amnesty International in Deutschland.

Die politisch Verantwortlichen müssen zuerst bei den eigenen Sicherheitsbehörden ansetzen. Wir brauchen unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsmechanismen für die Polizei sowie verbindliche Antirassismus-Trainings. Keine dieser langjährigen Forderungen von Amnesty International findet sich in dem Maßnahmenpaket wieder.

Maria
Scharlau
Expertin für Anti-Rassismus bei Amnesty International in Deutschland

"Es ist richtig, die ganze Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Die Bundesregierung tut sich aber weiterhin schwer damit, Rassismus nicht nur als individuelle Verhaltensweise, sondern als strukturelles Problem anzuerkennen, das auch und gerade in Behörden besteht. Das Ermittlungsversagen bei den NSU-Morden, die Drohbriefe des NSU 2.0 und die Berichte über rechtsextreme Netzwerke und Chatgruppen innerhalb verschiedener Polizeibehörden zeigen: Die politisch Verantwortlichen müssen zuerst bei den eigenen Sicherheitsbehörden ansetzen. Wir brauchen unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsmechanismen für die Polizei sowie verbindliche Antirassismus-Trainings. Keine dieser langjährigen Forderungen von Amnesty International findet sich in dem Maßnahmenpaket wieder", kritisiert Scharlau.

Hoffnung gibt die geplante Stärkung der Betroffenen von rassistischer Gewalt durch mehr Opferschutz, mehr Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen gegen Rassismus und für Betroffenenorganisationen.

Für die überfällige Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus, aber auch mit rechtsextremen Tendenzen bei der Polizei stellt das Maßnahmenpaket keinen Fortschritt dar. Weil die Polizei eine besondere Verantwortung beim Schutz vor Rassismus hat, fordert Amnesty verpflichtende Antirassismus-Trainings für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Die vom Maßnahmenpaket vorgesehene "verstärkte Sensibilisierung für Rassismus" im gesamten öffentlichen Dienst ist ein guter Ansatz, riskiert aber mangels genauer Zielvorgaben ins Leere zu laufen.

Aus Sicht von Amnesty muss außerdem dringend unabhängig, wissenschaftlich und transparent erhoben werden, wie verbreitet rassistische und rechtsextreme Einstellungen und Handlungsweisen in der Polizei sind. Das Maßnahmenpaket sieht eine "Forschungsstudie zu Alltagsrassismus" vor, die in dieser Breite kaum Erkenntnisgewinn bringen wird. Geplant ist außerdem ein "Forschungsprojekt Polizeialltag", das wiederum keinen Fokus auf strukturellem Rassismus hat.

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