Wer hat's gesagt?
“Es ist diese Leitkultur, (die) die Welt vernichtet. Alles, was ihr widerspricht wird hingerichtet
Richtig!
Leider Falsch. Die richtige Antwort wäre "Muslim Interaktiv".
Das Zitat stammt aus einem Poetryslam-Video der islamistischen Gruppe Muslim Interaktiv.
Wie Generation Islam (GI) und Realität Islam (RI) wird Muslim Interaktiv dem weiteren Umfeld der in Deutschland verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir zugerechnet. Das Ziel der sehr aktivistischen Bewegung HuT ist es, einen modernen, islamischen Staat als Alternative zu Kapitalismus und säkularer Demokratie zu errichten. Der Hizb ut-Tahrir wird vorgeworfen, zur Gewalt aufzurufen, daher ist sie in Deutschland seit 2003 verboten.
Muslim Interaktiv inszeniert sich als jung, hip, sportlich und aktivistisch und macht durch medienwirksame Aktionen sowie Hochglanzvideos auf sich aufmerksam.Vielleicht fällt euch die Ähnlichkeit zu der Identitäten Bewegung auch schon auf.
Wie die Identitäre Bewegung hat auch Muslim Interaktiv ein sehr einprägsames Logo: eine rote Kaaba – das zentralen Heiligtum im Islam. Die überwiegend jungen, männlichen Gruppenmitglieder tragen dieses häufig auf schwarzen Hoodies. Die Farbe rot soll das Leid der Muslime darstellen.
Welche Aussagen stecken in dem Zitat?
Muslim Interaktiv greift in dem Zitat das Thema „Leitkultur“ auf. Der Begriff beschreibt die Vorstellung allgemein geteilter Traditionen, Werte und Normen, die für ein Land charakteristisch sind. Die Gruppe nutzt die häufig kontrovers geführte Debatte um den Begriff, um über die legitime Kritik an der dahinter stehenden Vorstellung hinaus ein Bedrohungsszenario zu konstruieren. In dem Zitat wird nämlich suggeriert, dass alles, was sich von den Vorstellungen einer deutschen auf Abstammung basierenden Leitkultur unterscheide, abgelehnt, bekämpft und sogar vernichtet werde.
Was sagen Rechtsextremist*innen dazu?
In der politischen Debatte wird der Begriff in der Regel von konservativen und rechten Stimmen verwendet. Verbunden wird damit oft die Forderung, Menschen mit Migrationsbiografien müssten sich an die „deutsche Leitkultur“ anpassen. Die Betonung einer Leitkultur geht nicht selten mit einer Ablehnung von Zuwanderung einher, weil dadurch die „deutsche Kultur“ gefährdet sei.
Migrationsbewegungen stehen in rechtsextremen Ideologien für eine zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft und damit für die Zerstörung der vermeintlich homogenen Nation.
Diese Vorstellung findet sich häufig auch in Verschwörungsmythen, in denen „der“ Politik oder „den“ Medien unterstellt wird, sie würden bewusst Migrationsbewegungen schüren, um die Nationen zu zerstören („Großer Austausch“).
Wo liegt das Problem?
Muslim Interaktiv nutzt die Debatte um den Begriff Leitkultur, um über die legitime Kritik an der dahinter stehenden Vorstellung hinaus ein Bedrohungsszenario zu konstruieren. So wie im Zitat formuliert, erscheint der Begriff als existenzielle Gefahr und Bedrohung für Menschen mit Migrationsbiografie.
Die in dem Zitat enthaltene Warnung, alles von der Leitkultur Abweichende würde „hingerichtet“ werden, kann das Gefühl, in der eigenen kulturellen Identität bedroht zu sein, steigern. Angesichts einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft können solche Narrative Gewaltfantasien bestärken.
Was sagen?
Deutschland ist auch unabhängig von Migrationsbewegungen eine pluralistische Gesellschaft: Stadt-Land, Ost-West, alt-jung, arm-reich, Single-Haushalte und Familien – all dies beeinflusst, was Menschen denken, was ihnen wichtig ist, und woran sie glauben. Eine homogene Nation ist ein Mythos. So auch eine homogene „deutsche“ Meinung, wie sie hier von Muslim Interaktiv der deutschen Gesellschaft unterstellt wird. Sowohl Deutsche mit und ohne Migrationsbiografie haben verschiedene politische Einstellungen. Manche sind konservativer, andere progressiver. Die Information klingt zwar banal, ist aber wichtig!
Dabei kann man auch darauf hinweisen, dass in der Öffentlichkeit – zum Beispiel in Talkshows – sehr wohl sehr kontrovers über Migration diskutiert wird. Dabei wird das Konzept oftmals kritisiert.
Denen, die von der Unvereinbarkeit von Kulturen sprechen kann zudem gegengehalten werden, dass es schwer ist von der deutschen Kultur zu sprechen: Was ist denn „die deutsche Leitkultur“? Wie lässt sie sich beschreiben? Nur schwer!
Schließlich ist die deutsche Gesellschaft selbst sehr heterogen; auch in Bezug auf Werte und Lebensstile gibt es ein breites Spektrum, das sich nicht auf eine Leitkultur reduzieren lässt.
Die Gemeinsamkeit, die die Gesellschaft zusammenhält, ist nicht eine homogene Kultur, sondern das Grundgesetz– es bildet eine gemeinsame Grundlage, die allen Menschen Rechte und Freiheiten einräumt.
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Was sind Narrative überhaupt?
Narrative sind in aller Munde. Ob in Politik, in den Medien oder in der Psychologie: Überall wird von Narrativen gesprochen. Aber was sind Narrative und was haben sie mit Extremismus zu tun?
Die meisten Menschen begegnen Narrativen das erste Mal in Kinderbüchern, Comics, Liedern, Spielfilmen oder Computerspielen – immer gibt es spannende Geschichten, die uns in andere Leben, Zeiten und Welten mitnehmen. Denn Narrative bezeichnen zunächst einmal die einzelnen, miteinander verbundenen Handlungsstränge einer Geschichte.
Der englische Schriftsteller E. M. Foster macht den Unterschied zwischen einer auf Fakten basierten Geschichte und einer Handlung mit einem Beispiel deutlich. In dem Satz „The king died, and then the queen died“ (Der König starb und dann starb die Königin) werden zwei Ereignisse geschildert, die auch unabhängig voneinander passiert sein können. Doch in dem Satz „The king died, and then the queen died of grief“ (Der König starb und dann starb die Königin vor Gram) erfahren wir einen Grund, der beide Ereignisse miteinander verbindet. Was erzählt wird, was ausgelassen wird und welchen Ereignissen wie viel Raum gegeben wird, das ist ausschlaggebend dafür, wie wir die Ereignisse wahrnehmen.
Narrative werden aber nicht nur in Unterhaltungsmedien genutzt. Sie nehmen besonders im politischen Denken und in öffentlichen Diskussionen eine zentrale Stellung ein. Denn in ihnen stecken oft überzeugende und motivierende Geschichten, die Geschehnissen einen Sinn geben. Sie ermöglichen es uns, schwierige und komplizierte Zusammenhänge zu verstehen. Sie beeinflussen unser Bild von uns und von anderen. Sie können darüber hinaus dazu beitragen, dass wir uns als Teil einer Gruppe verstehen – oder eben auch nicht. Kurzum: Narrative haben Einfluss auf unsere Weltsicht.
Und was hat das jetzt mit Extremismus zu tun?
Angesichts der Wirkweise von Narrativen ist es wenig überraschend, dass auch populistische oder extremistische Personen oder Gruppierungen Narrative nutzen, um ihre rassistische, sexistische oder menschen- und demokratiefeindliche Weltsicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Narrative erfüllen damit eine wichtige ideologische Funktion.
Oftmals sprechen Narrative Themen an, in denen Gesellschaftskritik oder Fragen zu Werten und Religion, Identität und Zugehörigkeit, Gender und Pluralismus angesprochen werden. In Form von Brückennarrativen können sie sowohl in politischen Randgruppen wie auch im gesellschaftlichen Mainstream anzutreffen sein. Narrative verbinden extremistische politische Spektren mit der Mitte der Gesellschaft. Dies zu erkennen ist jedoch nicht immer leicht.
Autor*innen
Das Quiz ist im Rahmen des außeruniversitären Bildungsangebots „MasterClass: Präventionsfeld Islamismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden. Es ist das Abschlussprojekt der Arbeitsgruppe von Nicole Bopp, Merve Genç, Pirkko Jahn, Sarah Müller und Bence Zámbó. Betreut wurden sie von Maral Jekta (ufuq.de).
Die Inhalte, Aussagen und Themensetzungen dieses Angebots liegen in der Verantwortung der Arbeitsgruppe. Sie wurden in redaktioneller Autonomie gestaltet und spiegeln die Meinung der Autor*innen wider und repräsentieren nicht notwendigerweise die Meinungen und Standpunkte der Bundeszentrale für politische Bildung.